Dienstag, 9. September 2014

Lebenszeichen vor Jordanien

Hallo an euch alle,

ich komme gerade von unserer Dachterasse. Draußen ist Vollmond und am Horizont sieht man durch das Licht des Mondes die Umrisse des Jordanischen Berglandes. Auf ihrer Spitze sieht man sogar Lichter von einer Stadt oder etwas in der Art (ich muss nachher mal auf der Karte sehen, was das sein könnte). Letzten Samstag konnte man die Berge tagsüber richtig klar und deutlich sehen, sogar einzelne Erhöhungen und Täler. Leider kann ich euch an dieser Stelle kein Bild davon schicken, denn obwohl es mehrere hier versucht haben, kann man das leider auf keinem der Fotos auch nur annähernd so beeindruckend sehen, wie hier live von meinem Balkon aus. Von daher ist das aber vielleicht ein weiterer Ansporn für den einen oder anderen, es sich hier mal persönlich von meinem Balkon anzusehen ;-) Auch ich werde es mir bald noch genauer ansehen können, denn diese Woche Mittwoch werden wir auf unsere erste große Exkursion aufbrechen. Es geht für eine neuntägige Wanderung in die jordanische Wüste!
Was erwartet mich?

Genauer gesagt werden wir etwas weiter im Süden im Wadi Rum einsteigen. Dort wandern wir dann insgesamt für 6 Tage, ehe wir noch zwei Tage im Wadi Hesa und anschließen einen Tag auf dem Nebo sein werden. (Als Zwischeninfo für diejenigen, die es nicht wussten: Das ist der Berg, auf nach der Tradition Mose gestorben sei). Unterwegs werden wir unter anderem mal einen stillen Wüstentag einlegen, auf den ich mich persönlich schon voll freue. An diesem Tag soll sich jeder in Stille in einen Teil des umliegenden Gebietes zurückziehen und nur mit sich und der Wüste sein. Ich kann mich bislang nur an eine Erfahrung mit mir "allein" in der Wüste erinnern, als ich in Namibia mal alleine eine Düne hochgeklettert bin und ein Stück auf der anderen Seite wieder herunter. Ich konnte in alle Richtungen kilometerweit sehen, teilweise die Dünen, teilweise sogar das Meer. Und um mich herum war nur Wind und sonst Stille. Das waren nur vielleicht zwei Minuten, dann bin ich wieder zurück gelaufen. Aber auch diese zwei Minuten konnte ich seitdem nicht mehr vergessen und von der Weite dieses Anblickes damals zehre ich manchmal noch heute. Auch wenn das sicher in Jordanien schon allein landschaftlich nochmal ganz anders werden wird, ist das so ein bisschen mein inneres Bild davon, wie es vielleicht werden könnte. Ansonsten wird es jedoch auch körperlich sehr intensiv werden. An einem Tag müssen wir mal 26 Kilometer durch Wasser laufen, während wir ansonsten Wasser nur zum Trinken haben werden. Die Körperpflege in der Gruppe wird also zu leiden haben, was insbesondere für die Haare ein Problem darstellt. Aus diesem Grund haben sich mitllerweile ein Großteil der Männer hier die Haare raspelkurz schneiden- und ein Großteil der Frauen eng anliegende Flechtzöpfe machen lassen. Auch ich bin davon nicht verschont geblieben. Damit ihr euch das ein bisschen vorstellen könnt, will ich euch mal einen Vorher/ Nachher Blick ermöglichen:

Ach ja! Für einen ausgewählten Freundeskreis: Man beachte den Schnauzer, den ich hier natürlich in Ehren halte :D

So sehe ich also aktuell aus! Bin gespannt, wie lange es braucht, bis es wieder nachwächst.
Im Moment ist das schon ziemlich witzig, wenn hier grade fast alle mit komischer Frisur herumlaufen. Ich blicke also ziemlich gespannt auf das, was bald kommen wird. Gleichzeitig habe ich aber auch schon wieder einiges zu berichten, was ich in den vergangenen zwei Wochen erleben durfte.

Studium:

Also im Prinzip ist ja fast alles, was wir hier machen, also auch die Exkursionen, Teil des Studiums. Wenn ich diesen Absatz also mit "Studium" überschreibe, dann meine ich damit Studium im engeren Sinne, also praktisch das, was sich hier in unserem "Vorlesungssaal" abspielt. Die Vorlesungen bei Herrn Backhaus und Herrn Bollag sind mittlerweile bereits wieder vorbei. Wie fast alle hier, habe auch ich bei Herrn Backhaus anschließend eine Vorlesungsprüfung abgelegt und war damit durchaus nicht unzufrieden ;-) Nach diesen zwei Wochen, an denen wir jeweils vormittags durchgehend Vorlesung hatten, muss ich jedoch auch sagen, dass ich schon merke, es gar nicht mehr gewohnt zu sein, den ganzen Vormittag durchgehend Veranstaltungen zu haben. Hinzu kommen noch die Sprachkurse, die nach wie vor sehr intensiv sind (insbesondere Arabisch). Irgendwie ist das ja auch logisch. Wenn man ein bisschen was von der Sprache lernen will bei 90 min pro Woche, muss man da halt relativ viel Stoff machen. Aber mittlerweile habe ich mich schon etwas besser an den Unterrichtstil und daran, dass es "sprechbare" Sprachen sind, gewöhnt und es macht auch immer mehr Spaß. Und spätestens, wenn ich im Suq inmitten der vielen Rufe und Gespräche dann mal wieder ein Wort raushöre, dass ich schon kenne, freue ich mich meistens auch entsprechend :-)
Letzte Woche hatten wir dann die sogenannten "konfessionskundlichen Studientage", bei denen jeweils an einem Tag die eine Konfession sich der anderen vorstellen sollte. Am Ende der beiden Blöcke gab es noch eine Abschlussdiskussion. Bei mir blieb hier unter dem Strich der Eindruck, dass es zwar doch etwas mehr Unterschiede zwischen Evangelisch und Katholisch gibt, als mir das so bewusst war, dass jedoch beide Positionen für ihre Ansichten gute theologische Argumente finden können, sodass man letztlich feststellen muss, dass vieles, was man an seiner Position vielleicht besser finden mag, vor allem dem Umstand geschuldet ist, dass man einfach damit aufgewachsen ist und es in dieser Form schätzen gelernt hat, nicht jedoch, dass es einfach besser begründbar wäre. Eigentlich logisch, denn wenn eine Seite klar theologisch fundierter und begründbarer wäre, würde es ja kaum nach wie vor zwei Konfessionen geben. So zeigte sich für mich noch einmal die Brauchbarkeit des Begriffes der Komplementarität, den wir einleitend zu den Studientagen angesprochen hatten. Bei ihm geht es im Prinzip um die Ergänzung zweier Aspekte, die sich eigentlich ausschließen, wie beispielsweise in der Physik die Beschreibung von Licht als Welle, gleichzeitig aber auch als Teilchen. Ein Begriff, der mir übrigens auch schon mal im Kontext des interreligiösen Dialogs begegnet ist.
Neben den konfessionskundlichen Studientagen und den Vorlesungen hatten wir auch noch zwei interessante Begegnungen hier im Beit Jospeh. Zum einen kamen an einem Abend zwei Diplomaten aus Ramallah für eine Fragerunde zu uns und ermöglichten uns interessante Einblicke in ihre Sicht der Dinge und ihr Aufgabenfeld. Zum anderen hatten wir diese Woche noch einen Studientag zum Thema "jüdische Identität" mit Gil Yaron, einem deutsch- israelischen Journalisten, der es wirklich sehr gut verstand, uns die verschiedenen Mentalitäten und Positionen im Nahen Osten und speziell in Israel anhand der geschichtlichen Entwicklungen und gegenwärtigen politischen Konstellationen nahezubringen.

Studientag Bethlehem

Eine sehr prägende Erfahrung wird für mich sicherlich unser Studientag in Bethlehem bleiben. Zunächst war ich natürlich erst mal sehr gespannt darauf, wie es dort wohl aussieht. Wenn man mindestens einmal im Jahr die Weihnachtsgeschichte vorgelesen bekommt, wie Maria und Joseph dort nach einer Herberge suchen, macht man sich ja unweigerlich so ein bisschen ein Bild von dem Ort. Es begann auch erstmal eigentlich sehr positiv für mich, denn gleich zu Beginn machte ich eine schöne Entdeckung...


Kann sicher auch nicht jeder von sich sagen, dass er hier schon mal beim Starbucks war :D

Nach einer kurzen Kaffeepause begann nun der erste Teil unserer Führung. Dabei hatten wir das Glück, dass unser Guide Daoud Nassar als palästinensischer Christ auch schon eine längere Zeit in Deutschland lebte. So konnte er uns in sehr gutem Deutsch auch viele Teile Bethlehems zeigen, die die meisten Besucher nach seiner Aussage gar nicht erst wahrnehmen, wenn sie nur einmal schnell in die Geburtskirche und wieder zurück gehen. Er erzählte uns von den Problemen mit der Mauer, durch die Bethlehem praktisch eingeschlossen ist. So musste er erst kürzlich einen Flug zu einem Vortrag im Ausland absagen, da er sich ob der (mittlerweile ja zum Glück wieder ruhigeren) Situation nicht sicher sein konnte, dass er wieder rein käme. Überhaupt müsse er, wenn er einen Flughafen brauche, erst einmal über einen Tag bis nach Jordanien reisen, da er nach Israel als Palästinenser nur in absoluten Sonderfällen gelassen wird. Daoud führte uns dann in verschiedene Bereiche der Stadt, die ich euch ebenfalls kurz mit ein paar Fotos zeigen will.

Hinterhöfe wie diesen gibt es in Bethlehem einige. Mehrere Familien leben so Tür an Tür und helfen sich auch gegenseitig im Alltag.


Der Suq von Bethlehem ist an sich schon sehr eng, dennoch fahren regelmäßig Autos hindurch.

Daoud erklärt uns, dass viele Menschen hier nie gelernt hätten, sich für die Sauberkeit der Stadt außerhalb ihres Grundstückes verantwortlich zu fühlen.
Ebenfalls ein Highlight: Daoud ermöglicht uns einen kurzen Rundgang auf dem Campus der Universität.
Beim Besuch der Universität ergab sich für mich persönlich ein sehr positives, weil sehr plurales Bild der Studenten. So gingen dort beispielsweise Studentinnen mit Kopftuch wie selbstverständlich neben deutlich "westlicher" gekleideten Studentinnen nebenher und auch bei den Männern stellte es sich ähnlich dar (nur halt natürlich ohne Kopftuch ;-) Überhaupt war es sehr auffällig, dass die Frauen unter der StudentInnen klar in der Überzahl waren. Für manch negativ voreingenommenes Bild über den Nahen Osten wäre dieser Anblick sicherlich sehr überraschend gewesen.
Daoud erklärte uns weiterhin, dass viele Bewohner nur einmal in der Woche Zugang zu Leitungswasser haben und daher auf die Gemeinschaft, die durch die Hinterhöfe entsteht, angewiesen sind, um Regenwasser zu sammeln und sich gegenseitig in Kenntnis zu setzen, wenn es dann einmal Leitungswasser gibt. Umso befremdlicher erschien es uns, als wir kurz darauf im Eingangsbereich eines Hotels auf unseren nächsten Programmpunkt warteten und sahen, wie dort der Boden mit einem Nassstaubsauger gereinigt wurde.
Trotz alldem zeigte Daoud jedoch eine sehr imponierende Einstellung zur Gesamtsituation. So hörten wir von ihm keinerlei Schuldzuweisungen, sondern die Ansicht, dass bei diesem Konflikt auf beiden Seiten Fehler gemacht wurden. Weiterhin kritisierte er auch die Resignation vieler Palästinenser, die sich zu leicht mit ihrer Opferrolle abfinden würden und damit übersehen, wo sie vielleicht etwas bewegen könnten. So wie Daoud selbst, der unter anderem das "Zelt der Nationen" als Begegnungsort für Israelis und Palästinenser gegründet hat. Unter dem Motto "wir weigern uns Opfer zu sein", sowie "wir weigern uns, Feinde zu sein" will er so gewaltfreien Widerstand leisten.
Alles in allem war die Begegnung mit ihm sehr inspirierend für mich. Abgerundet wurde das Ganze dann noch von einem Vortrag im Diyar- Begegnungszentrum, der das Gesehene unter anderem noch einmal mit Fakten untermauerte und auch noch ein paar neue Ansichten auf die Situation in der Westbank brachte. Für mich natürlich besonders interessant: Im Diyar- Begegnungszentrum gibt es unter anderem als Sozialprojekt eine Frauenfußballmanschaft, aus der sogar etliche "Nationalspielerinnen" (ich nenne es jetzt einfach mal so) hervorgegangen sind.
Nach einer Mittagspause, in der wir guten Gewissens die lokale Falafelwirtschaft gestärkt hatten, ging es für uns dann in die Geburtskirche. Nun geht man als historisch kritischer Theologiestudent da ohnehin bereits hinein, in dem Wissen, dass Jesus wenn überhaupt, dann bestimmt nicht bei seiner Geburt in Bethlehem gewesen ist. Trotzdem muss ich sagen, dass für mich, als ich aus dieser Kirche wieder herausging, eine Mischung von Gefühlen stand, die sich von enttäuscht und ernüchtert über nachdenklich bis hin zu wütend bewegte. Ein bisschen hatte das sicher auch damit zu tun, dass die Kirche, als wir hineingingen, erst einmal so aussah:


 
Wir gingen dann also in den etwas tiefer gelegenen Raum, wo angeblich die Krippe gestanden haben soll. Dort war gerade auch ein Pilgergruppe unterwegs. Einer nach dem anderen begann nun, diesen Stein zu küssen, auf dem sie gestanden haben soll und wurde dann von einem Priester, der das ganze beaufsichtigte, noch mit einem Kärtchen ausgestattet, auf dem eine Ikone als Erinnerung abgebildet ist. Ich habe letztlich darauf verzichtet. Meiner Meinung nach bedarf es auch nicht unbedingt eines Theologiestudiums, um sich denken zu können, dass, selbst wenn Jesus tatsächlich in Bethlehem in einer Krippe auf die Welt gekommen sein sollte, man diesen Ort niemals rekonstruieren könnte. Denn so sehr seine Geburt für Christen heute von allergrößter Bedeutung sein mag, so sehr war sie es doch für die Menschen vor Ort damals nicht, was ja gerade auch die Aussage der Geschichte sein soll, wenn sie Jesu Geburt in einem Stall verortet, weil keiner mehr für die Geburt des Messias ein Zimmer frei hat. Das andere, was mich sehr daran störte, war die Tatsache, dass Christsein für mich gerade nicht bedeutet, irgendwelche Steine zu küssen, wo vielleicht mal Jesus gewesen sein könnte. Das verdeutlichte sich dann endgültig für mich, als wir danach in den Vorhof der Kirche kamen. Dort saß ein Bettler, der offensichtlich an den Beinen gelähmt und auch in seiner Motorik insgesamt stark eingeschränkt war. An dem gingen dann alle Pilger geschlossen vorbei, ohne ihn zu beachten. In diesem Moment kam mir dann schon der Gedanke, was wäre, wenn Jesus jetzt (vielleicht sogar in Gestalt eben dieses Bettlers?) zusehen könnte, und ich war mir sicher, dass er sehr enttäuscht und möglicherweise auch wütend gewesen wäre. Denn er hätte eine Gruppe Menschen gesehen, die in seinem Namen nach Bethlehem geht um einen Stein zu küssen, ohne sich auch nur im geringsten für die umliegenden Probleme der Stadt und noch nicht mal die eines gelähmten Bettlers im Vorhof der Kirche zu interessieren. Und weil es eben tatsächlich die biblische Vorstellung gibt, dass man das, was man für den bedürftigen Nächsten tut, eigentlich für Jesus persönlich tut, gab ich dem Bettler dann zumindest noch etwas Geld. So hatte ich dann am Ende des Besuches der Geburstkirche doch auch noch mein persönliches, wenn auch deutlich anders gelaufenes Glaubenserlebnis.
Ich hoffe, es versteht mich jetzt keiner falsch! Ich kann grundsätzlich damit umgehen, dass Menschen das Bedürfnis haben, ihren Glauben an konkreten Orten erfahren zu wollen. Ich finde nur, dass die Reihenfolge passen muss. Wenn ich mich auch für die Stadt mit ihren Problemen und die politische Situation dort interessiere und das genauso auf mich wirken lasse, dann spricht aus meiner Sicht auch nichts dagegen, sich auch die Geburtskirche anzusehen.

Besagter Vorhof. Genauer gesagt führt er nicht direkt in die Geburtskirche, sondern in eine Nebenkirche.
Unsere letzte Station führte uns dann entlang der Mauer zum griechisch- katholischen Emmanuels Kloster. Während wir an der Mauer entlang gingen, riefen uns einige Bewohner energisch zu: "Yes, yes! Take pictures!" In der Tat ist es für mich sehr beklemmend, an dieser großen Mauer vorbeizugehen und zu wissen, dass ich zwar jederzeit wieder raus kann, viele hier jedoch nicht. An der Mauer zeigt sich für mich gut, wie man in diesem Konflikt für beide Seiten Verständnis haben kann. Denn auf der einen Seite ist jeder von uns hier selbst froh, wenn er mit einem einigermaßen sicheren Gefühl durch Jerusalem laufen kann. Auf der anderen Seite sehen wir natürlich auch die vielen friedlichen PalästinenserInnen, die damit zu unrecht bestraft sind. Als wir am Ende eines langen Studientages noch einmal durch eine riesige Checkpointanlage hindurch wieder auf die andere Seite der Mauer gekommen sind, bin ich in der Tat sehr betrübt ob der vielen negativen Eindrücke, die mir die aktuelle Situation dort bot. Fast schon erscheint es mir als geradezu unpassend, wie wir zwischen der Betrachtung all der aktuellen Probleme, die sich uns dort darstellten, noch in die Geburtskirche gehen konnten. Umso mehr möchte ich hier noch einmal allen nahe legen, falls sie mal nach Bethlehem kommen sollte, sich nicht nur auf eben jene zu beschränken.

Impressionen von der Mauer


So! Nun bin ich wieder am Ende meines Bloggeintrages angelangt. Wie ihr den einleitenden Worten entnehmen konntet, wird mein nächster Eintrag sicherlich erst frühestens wieder in zehn Tagen folgen können, dann aber hoffentlich mit ganz vielen tollen Impressionen aus Jordanien :-)

Bis dahin schicke ich euch ganz liebe Grüße,

Andreas

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